Verfasser: Ministerium des Innern
Potsdam, 08.02.2011
Klarstellende Hinweise zu irrtümlichen Annahmen zur Altanschließerproblematik
1. „Der Gesetzgeber hat die Erhebung von Anschlussbeiträgen vorgeschrieben.“
Das Kommunalabgabengesetz für das Land Brandenburg (KAG) enthält keine Verpflichtung, für leitungsgebundene Einrichtungen überhaupt Beiträge zu erheben. Die Aufgabenträger können zwischen verschiedenen Modellen auswählen, wie sie ihren Aufwand für die Herstellung der öffentlichen Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungsanlagen refinanzieren wollen. Wesentlich ist, dass die Finanzierung durch diejenigen erfolgt, denen die Vorteile der Anlagen dienen, und nicht aus Mitteln des allgemeinen Haushalts, also durch den Steuerzahler (§ 64 Brandenburgische Kommunalverfassung).
Der Aufgabenträger kann sich entscheiden, ob er – auf der Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung – privatrechtliche Entgelte verlangt oder ob er öffentlich-rechtliche Abgaben erhebt. Entscheidet er sich für öffentlich-rechtliche Abgaben, hat er grundsätzlich die Wahl, ob er den Herstellungsaufwand über (einmalige) Beiträge refinanziert oder ob dieser Aufwand bei den Abwasser- und Wassergebühren berücksichtigt wird. Möglich ist auch, dass nur ein Teil des Herstellungsaufwandes über Beiträge und der andere Teil über Gebühren finanziert wird. Werden Beiträge erhoben, sind die Zahlungen bei der Gebührenkalkulation (§ 6 Abs. 2 Satz 5 KAG) zu berücksichtigen. Beitragserhebungen wirken sich also günstig auf die Gebührenhöhe aus. Dies kommt vor allem Mietern entgegen, weil die Gebühren anders als Beiträge auf sie umgelegt werden können.
2. „Die Beitragspflicht für Altanschließer hat der Gesetzgeber 2009 eingeführt.“
Aufgabenträger, die sich für eine vollständige oder anteilige Beitragsfinanzierung entschieden haben, müssen auch die Altanschließer zu Beiträgen heranziehen. Weil auch die Altanschließer von den Investitionen (z.B. für Klärwerke oder die Sanierung der Kanäle) profitieren, gebietet der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz, dass nicht nur die Neuanschließer für diesen Aufwand mit Beiträgen belastet werden. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg (OVG) hat die Heranziehung der Altanschließer bereits 2001 bestätigt (Urteil vom 5. Dezember 2001 – 2 A 611/00) und 2003 festgestellt, dass die Beteiligung der Altanschließer „vor dem Hintergrund einer gleichmäßigen und gerechten Beteiligung aller durch die Anschlussmöglichkeit zu der öffentlichen Einrichtung bevorteilten Gründstücke“ geboten sei (Urteil vom 3. Dezember 2003 – 2 A 733/03). Die Berücksichtigung altangeschlossener Grundstücke war daher durch die Rechtsprechung schon vor der letzten Änderung des KAG unmissverständlich geklärt.
Die letzte Änderung des KAG im Zusammenhang mit der Altanschließerproblematik im Jahr 2009 hat für die Altanschließer günstige Regelungen geschaffen:
Es wurde die Möglichkeit eingeführt, für die meisten altangeschlossenen Grundstücke verminderte Herstellungsbeiträge zu erheben (§ 8 Abs. 4a KAG).
Es wurde ausdrücklich auf die Möglichkeit der Stundung und des Erlasses von Forderungen bei unbilliger Härte hingewiesen (§ 12c).
Es wurde klargestellt, dass Investitionen vor dem 3. Oktober 1990 grundsätzlich nicht in die Beitragskalkulation einfließen dürfen (§ 18 KAG).
3. „Altanschließer sollen für bereits zu DDR-Zeiten erbrachte Leistungen bezahlen.“
Das KAG eröffnet nicht die Möglichkeit, Beiträge für bereits zu DDR-Zeiten erbrachte Leistungen zu erheben. Die Aufgabenträger der Wasserver- und Abwasserentsorgung dürfen nur den ihnen tatsächlich entstandenen Investitionsaufwand in die Beitragskalkulation einbeziehen. Dementsprechend hat der Gesetzgeber in § 18 KAF n.F. klargestellt, dass der vor dem 3. Oktober 1990 entstandene Investitionsaufwand für öffentliche Wasserver- und Abwasserentsorgungsanlagen, mit Ausnahme im Einzelfall übernommener Verbindlichkeiten, nicht beitragsfähig ist. Es ist also ausgeschlossen, dass Anschlussbeiträge für vor der Wende erbrachte Leistungen erhoben werden können. Die Befürchtung, dass man zweimal für dieselbe Leistung zahlen muss, ist insoweit nicht gerechtfertigt.
4. „Herstellungsbeiträge von Altanschließern sind nicht gerechtfertigt, weil die Anlagen schon zu DDR-Zeiten hergestellt worden sind.“
Nach der Rechtsprechung des OVG sind die zu DDR-Zeiten errichteten Wasserver- und Abwasserentsorgungsanlagen im rechtlichen Sinne nicht identisch mit den nach der Wende entstandenen kommunalen Ver- und Entsorgungsanlagen, unabhängig davon, ob die technischen Anlagen übernommen und weiter bewirtschaftet wurden. Die Beitragserhebung knüpft nicht an die Anlagen im technischen, sondern im kommunalrechtlichen Sinne. Erstmalig konnten diese Anlagen entstehen, nachdem die Wasserver- und Abwasserentsorgung nach kommunalrechtlichen Vorschriften auf die Kommunen übergegangen war. Die Berechtigung, diese insoweit neu entstandenen öffentlichen Anlagen dauerhaft und rechtlich gesichert zu nutzen, vermittelt auch altgeschlossenen Grundstücken erstmalig eine beitragsrelevante Vorteilslage (OVG, Urteil vom 12. April 2001 –. 2 D 73/00.NE, Urteil vom 3. Dezember 2003 – 2 A 733/03).
Der Beitrag wird von den Grundstückseigentümer als Gegenleistung dafür erhoben, dass ihnen durch die dauerhaft gesicherte Inanspruchnahmemöglichkeit der Anlage wirtschaftliche Vorteile geboten werden (§ 8 Abs. 2 Satz 2 KAG). Der wirtschaftliche Vorteil besteht nach den Ausführungen des OVG (Urteil vom 7. Dezember 2004 – 2 A 168/02) in der Steigerung des Gebrauchswertes des Grundstückes. So wurden beispielsweise Investitionen für Klärwerke, Pumpstationen oder die Sanierung alter Kanäle getätigt, von denen auch die Altanschließer profitieren.
5. „Die Beitragsansprüche gegenüber Altanschließern sind verjährt.“
Beiträge dürfen nur innerhalb einer vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Frist durch Bescheid festgesetzt werden. Die vierjährige Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Jahres zu laufen, in dem die sachliche Beitragspflicht entstanden ist (§ 12 Abs. 1 KAG i.V.m. § 169 Abs. 2 Nr. 2 und § 170 Abs. 1 AO). Bei Anschlussbeiträgen entsteht die sachliche Beitragspflicht nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG frühestens mit dem Inkrafttreten der rechtswirksamen Beitragssatzung. Ohne eine wirksame Satzung kann die Beitragspflicht nicht entstehen.
In der bis zum 1. Februar 2004 geltenden Fassung des KAG war das Wort „rechtswirksamen“ noch nicht enthalten. Die Regelung wurde durch das OVG (Urteil vom 8. Juni 2000 – Az. 2 D 29/98. NE) so ausgelegt, dass für den Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht nicht die erste rechtswirksame Satzung maßgeblich sei, sondern die erste ggf. unwirksame Satzung. Nach dieser Rechtsprechung zur alten Fassung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG mussten sich Satzungen, die eine unwirksame Satzung ersetzen sollten, Rückwirkung auf den ersten Satzungsversuch beimessen lassen. Das hätte bedeuten können, dass eine Beitragsfestsetzung aus Verjährungsgründen nicht mehr möglich wäre. Zum 1. Februar 2004 hat der Gesetzgeber das Wort „rechtswirksamen“ in § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG eingefügt. Mit dieser Neufassung entfällt das Gebot der Rückwirkung. Nach dem OVG-Urteil vom 12. Dezember 2007- 9 B 44.06 und 9 B 45.06 gilt dies für alle Fälle, in denen vor der Neufassung zum 1. Februar 2004 keine rechtswirksame Beitragssatzung erlassen worden war.
Beitragsansprüche von Aufgabenträgern, die bis zu diesem Termin noch nicht über eine wirksame Satzung verfügten, können nicht verjährt sein, weil ohne eine wirksame Satzung eine Beitragspflicht nicht entstehen und daher die Festsetzungsfrist nicht in Gang gesetzt werden kann.
6. „Der Beitragserhebung steht entgegen, dass die Eigentümer von altangeschlossenen Grundstücken darauf vertraut haben, nicht mehr zu Beiträgen herangezogen zu werden.“
Ein Vertrauensschutz für Eigentümer altangeschlossener Grundstücke, nicht mehr zu Beiträgen herangezogen zu werden, hat das OVG (Urteile vom 12. Dezember 2007- Az. 9 B 44.06 und 9 B 45.06) ausdrücklich verneint. Danach kann kein schutzwürdiges Vertrauen darauf entwickelt werden, eine öffentliche Leistung – also hier die dauerhafte und rechtlich gesicherte Möglichkeit der Inanspruchnahme der Wasserver- und Abwasserentsorgungsanlage – auf Dauer ohne Gegenleistung zu bekommen. Diese Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht bestätigt (Beschluss vom 14. 7.2008 – 9 B 22.08 und vom 24. 9.2009 – 9 BN 1.09).
7. „Die Beitragsforderungen sind unsozial und gefährden die Existenz betroffener Grundstückseigentümer.“
Die Beitragsforderungen richten sich an Eigentümer und bestimmte Nutzungsberechtigte von Grundstücken. Die Beiträge werden als Gegenleistung für die Vorteile erhoben, die ihnen die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Anlage bietet. Nach diesen wirtschaftlichen Vorteilen ist die Beitragshöhe zu bemessen. Gemäß § 8 Abs. 6 Satz 3 KAG soll dabei das Maß der baulichen oder sonstigen Grundstücksnutzung berücksichtigt werden. Ist die so berechnete Beitragshöhe im Einzelfall eine unbillige Härte, haben die Aufgabenträger die Möglichkeit zu Billigkeitsmaßnahmen wie Stundung (darunter fallen auch Ratenzahlungen) oder Erlass. Der Gesetzgeber hat auf diese Möglichkeiten in § 12 c KAG noch einmal ausdrücklich hingewiesen.
8. „Beitragsbescheide müssen bis zum 31.12.2011 erlassen werden.“
Der Gesetzgeber hat durch § 12 Abs. 3a KAG bestimmt, dass die Festsetzungsfrist für die Erhebung von Anschlussbeiträgen frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2011 endet. Diese Frist beginnt mit Ablauf des Jahres, in dem die sachliche Beitragspflicht entstanden ist und beträgt vier Jahre (§ 12 Abs. 1 KAG i.V.m. § 169 Abs. 2 Nr. 2 und § 170 Abs. 1 AO). Die sachliche Beitragspflicht entsteht frühestens mit dem Inkrafttreten der rechtswirksamen Satzung, die allerdings auch einen späteren Zeitpunkt bestimmen kann (8 Abs. 7 Satz 2 KAG).
Mit Ablauf des 31. Dezember 2011 endet die Festsetzungsfrist daher nur in den Fällen, in denen die sachliche Beitragspflicht vor dem 1. Januar 2008 entstanden ist. Das bedeutet für Aufgabenträger, bei denen die Beitragspflicht beispielsweise erst im Jahr 2011 entstanden ist, dass die Beiträge bis zum 31. Dezember 2015 festgesetzt werden müssen.
9. „Altanschließer können durch eine Änderung des Kommunalabgabengesetzes von der Beitragspflicht freigestellt werden.“
Nach § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG werden Beiträge als Gegenleistung für den aus der dauerhaft gesicherten Inanspruchnahmemöglichkeit der öffentlichen Einrichtung resultierenden Vorteil erhoben. Es besteht keine Rechtfertigung dafür, nur die Eigentümer neuangeschlossener Grundstücke zu Beiträgen heranzuziehen, während die Altanschließer für den ihnen gewährten grundstücksbezogenen Vorteil keine Gegenleistung zu erbringen hätten. Mit einer Beitragsbefreiung nur für Altanschließer wäre der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum wegen Missachtung des Gleichheitsgrundsatzes verletzt.